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Von Pilzen, Keller und Plastiksäcken 
- kein Krimi sondern eine Erfolgsgeschichte.

Zwei Studenten, die in einem Wiener Keller etwas anbauen wollen … Die Vorstellung lässt alle möglichen Bilder aufkommen, nur nicht jene die du in diesem Beitrag entdecken wirst. PILZE. Weder Science Fiction noch Photoshop! Sondern Hut & Stiel.

Betritt man den versteckten Gewölbekeller im zwanzigsten Wiener Bezirk, findet man sich zwischen schwarzen herabhängenden Plastiksäcken wieder. 13 bis 15 Grad Celsius. Feuchte Luft. Grelles Licht. Muschelförmige Fruchtkörper bahnen sich ihren Weg durch die Plastikfolien gen Neonröhre. Hin und her gerissen zwischen Überraschung, Verwirrung und Unwohlsein entscheidet man sich dann doch für die Faszination – denn auf den rund 240 Quadratmetern wachsen seit einiger Zeit köstliche Austern und Limonenseitlinge.

Es sind Manuel und Florian, die da mit Kaffeesatz und Pilzkulturen statt Drum & Base die Wiener Underground-Szene aufmischen.

Tatort Kaffeemaschine

Wiener Kaffeehauskultur wird großgeschrieben. Einer morgens. Zwei drei zwischendrin. Zu verdanken haben wir den Espresso, Cappucino, Einspänner und Co. der Kaffeebohne. Angebaut wird sie aufgrund des benötigten Klimas aber großteils in Südamerika, Afrika und Südostasien. Ihr Weg in unsere Mühle – lang. Ihre Verwendungsdauer – kurz, rund 25 Sekunden um genau zu sein.

44 Tonnen Kaffeesatz landen in Wien täglich im Müll. Abfall? Sicher nicht!

In einer Kaffeebohne stecken jede Menge Nährstoffe. Beim Brühen des Kaffees wird jedoch nur etwa 1% des Gewichtes gelöst – die restlichen 99% bleiben als Kaffeesatz zurück. Keine neue Erkenntnis. Kaffeesatz wird bereits zum Düngen, für Peelings und vieles mehr verwendet.
Pilze damit zu züchten ist jedoch relativ neu.

Neue Methoden und Wege

Die Idee zum Rettung des Kaffeesatzes haben Manuel und Florian während ihrem Studium entdeckt und dann in Eigenregie nach Wien gebracht.
Der Kaffeesatz wird von Kaffeehäusern und Altenheimen teils geliefert, teils mit dem eigenen Lastenrad abgeholt. Mindestens zwei Mal pro Woche fahren sie aus und sammeln dabei rund 800kg Kaffeesatz.

Aus Kaffee mach Pilz

Der frische Kaffeesatz wird zuerst mit Kalk gemischt, um den passenden PH-Wert zu erhalten und dann mit einer Ladung Kaffeehäutchen aufgelockert – ein weiteres Abfallprodukt aus der Kaffeeproduktion das bei der Röstung entsteht. Die neue Mischung wird mit Pilzmyzel geimpft das den Kaffee besiedeln soll. Fertig ist das „Pilzsubstrat“ das nun in Plastiksäcke gefüllt und im Keller aufgehängt wird.

Was einfach klingt erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch die richtige Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtverhältnisse um die Pilze gedeihen zu lassen.
Nach rund fünf Wochen wird es den Pilzen zu eng im Sack, der Überlebensmechanismus, also die Fruchtkörperbildung beginnt und sie suchen sich ihren Weg an die Luft.

Geliefert wird meist nur wenige Stunden nach der Ernte, mit dem Lastenrad, gänzlich CO-neutral, versteht sich! Verkauft wird auf Märkten und in ausgewählten Geschäften, aber auch Spitzenrestaurants wie das Steiereck werden mit den Wiener Pilzen beliefert.

Um den Kreislauf zu schließen, wird das Substrat nach rund drei Pilzernten kompostiert – frische Erde entsteht.
Zero-Waste hoch 3, nachhaltig auch, BIO ist das Ganze trotzdem nicht, denn dafür müsste der gesamte Kaffeesatz aus zertifiziertem Bioanbau stammen, was sich in den lokalen Kaffeehäusern und Bäckerei noch nicht vollständig durchgesetzt hat. Ob es das Zertifikat braucht sei dahingestellt. Die Nachhaltigkeit steht im Vordergrund, aber das  Ziel für die Zukunft ist gesetzt.

Das mit dem „Zero Waste“ ist auch so eine Sache. Aus einem Abfallprodukt entstehen gleich mehrere neue doch der Plastiksack steht der Ganzheitlichkeit im Weg. Gebraucht wird er trotzdem, denn Alternativen gibt es (noch) nicht.

Wer ist da eigentlich der Hut und wer der Stiel?

Hinter Hut & Stiel stecken die beiden Studenten Manuel Bornbaum und Florian Hofer – der eine: Agrarwissenschaftler in Ausbildung, der andere am Weg zum Master in Maschinenbau.

Mit ihrem gemeinsamen Projekt nehmen sie sich gleich mehrerer gesellschaftlichen Problemen an. Warum wird ein so wertvolles Produkt wie Kaffeesatz einfach weggeworfen? Und warum können wir Lebensmittel nicht genau dort produzieren, wo sie gebraucht werden?
Hut & Stiel ist eine von vielen möglichen Antworten und macht auf unkonventionelle aber wortwörtlich geschmackvolle Art auf wichtige Themen aufmerksam und steigert so das Bewusstsein für Umwelt und Gesundheit. Es macht Lust auf mehr! 

Wiener Pilzkultur gibt es auch im Glas

Die Idee, Kaffeesud zum Anbau von Speisepilzen zu nutzen, ist nicht neu. Ein ganzes Netzwerk an städtischen Pilzfarmern tauscht regelmäßig ihr Wissen aus und gibt es an neue Stadtbauern weiter.

Neu aber ist der Ansatz von Manuel und Florian, den Kreislauf vollends zu schließen und die weniger schönen Züchtlinge statt in den Müll in hübsche Gläser zu stecken – in Form von Sugo, Pesto & Co.
Köstlich! Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Hunger bekommen? 

Rezeptideen mit den originellen Schwammerln gibt es auf Hut & Stil – und vielleicht auch schon bald bei mir am Blog. Ich überlege stark meine eigene Pilzzucht zu starten – auch das geht. Selbstversuche inklusive Tutorials gewünscht?

 

Der Besuch bei Hut & Stil ist Teil meiner Arbeit mit better für das NORDICO Sadtmuseum das im Juni 17 seine Pforten für alle Glücks-Suchenden öffnet. Die Ausstellung „Wege zum Glück - Linz neugedacht und selbstgemacht widmet sich in mehreren Ausstellungsräumen und interaktiven Veranstaltungen neuen Gemeinschaftsprojekten, der Neuinterpretation von urbanem Lebensraum und dem "glücklich sein". Komm vorbei!
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