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Wohnen auf 15 Quadratmetern. Das Konzept Wohnwagon.

Auf dem Parkplatz des Heurigen ist ein kleines Schild in einen Blumentopf zu sehen. Die Spitze zeigt durch das Eingangstor Richtung Weinberge und Grün, und lässt einen in den Ferne schauen. Doch von dem ausgeschilderten „Karl“ noch keine Spur. Gerade er soll doch unsere Probleme lösen. Den Stress und den Überfluss. Also machen wir uns auf die Suche – nach dem was man wirklich braucht …

Wie viel Wohnraum braucht der Mensch?

Dem Durchschnitts Österreicher, oder Deutschen stehen rund 45m2 zur alleinigen Nutzung zur Verfügung, Tendenz steigend, denn mit dem steigenden Einkommen steigt auch das gefühlte Bedürfnis nach mehr Platz. Lange wird es diesen aber nicht mehr geben. Die Verstädterung nimmt zu, unsere Mitmenschen werden immer älter und immer mehr. Bei der Frage nach dem eigenen Lebensstandard und Komfort in Verbindung mit dem wachsenden Bedürfnis nach Ruhe und Natur sind neue Lebens- und Raum Konzepte gefragt. Der Wohnwagon ist eines davon und ich habe ihn gemeinsam mit Saskia besucht.

Der Wohnwagon ist Statement, Lebensgefühl und Autarkie

Wohnwagon in kurz beschrieben, sind kleine TinyHauser die je nach Ausführung Energie- und/oder Wasser-Autarke sind und an jedem (erlaubten) Ort abgestellt werden können. Die 15 – 25 Quadratmeter mobile Wohneinheit ist vollkommen unabhängig: ein geschlossener, innovativer Wohnkreislauf. Begonnen hat alles im November 2012 mit einer Idee. Christian Frantal, Ideengeber und technischer Kopf hinter dem Wohnwagon, wollte reduziertes Wohnen auf eine neue Eben heben und erstmals wirklich greifbar machen. Er meint: „Der Wagen macht spürbar und fühlbar, wie befreiend es ist, sich zu reduzieren. Der Wagen ist für mich auch ein Statement zu all dem Irrsinn der in der Welt oft abgeht. Und auch ein Beitrag zur Umweltpolitik. Es ist unsere Art des Protestes gegen eine ziemlich verrückte Welt. Es ist unser Weg, unsere Wut, Empathie und Liebe konstruktiv zu manifestieren. Wir wollen greifbar machen: Es geht auch anders!“. Dafür hat er sich Theresa, Jana und Benedikt mit ins Boot, äh den Wagen, geholt. Seit dem sind 12 Wagen und ein Tiny House auf Anfrage gebaut und ausgeliefert worden. Einer davon ist Karl.

Who is Karl?

„Karl“ ist mit seinen 15m2 ist er zwar der Kleinste der Familie, schummelt sich durch seinen guten Stil aber ein paar Zentimeter dazu. Er und seine Schwester Fanni haben einen wichtigen Job. Sie sind die mobilen Aushängeschilder der Familie und gleichzeitig Hotelzimmer auf Zeit. Zu finden ist er beim Winzerhaus Hans Schöller in Wagram bei Traismauer. Die Einrichtung ist einfach, schlicht aber schön. Wie ein modern-authentisches Loft. Man merkt die Liebe zum Detail, und auch die Erfahrung und Überlegung die hinter jedem Gegenstand steckt.

Karl ist ein Raum der für sich steht, mitten in der Natur. Ohne lästige Hotelzimmernachbarn oder Lärm am Swimming pool. Das hat Vorteile ganz klar. Denn so klein Karl ist, um so größer, offenerer und einladender ist all der Raum um ihn herum. Das Frühstück wird selbstverständlich in der morgendlichen Sonne auf der Terrasse genossen. Das Abendessen ebenso. Die Wiese lädt zum darauf herumliegen oder barfuß laufen ein, und wie selbstverständlich Strecke man jedes Mal, am Weg Richtung Ortschaft, die Hand nach den Kirschen aus.

Alles an seinem Platz

Egal was man sucht. Es ist da. Von praktischen Dingen wie Bettwäsche, Geschirrtüchern und Co bis zu. Kochlöffel, Kaffeemaschine, Teller. Marmelade und Honig. Qualität und Ressourcenschonung stehen bei der Einrichtung im Zentrum. Gearbeitet wird vor allem in Handarbeit und ohne giftige Lacke, sondern mit viel Holz und natürlichen, regionalen, oft auch recycelten Rohstoffen.

Die Natur vor der Wagentüre

Dank seiner Lage, oben in den Weinbergen ist der Ausblick sprichwörtlich endlos. Die Wachau zu seinen Füßen lässt es sich gut entspannen. Dank der Grillen am Abend so wie so und ganz ehrlich – ich habe selten einen schöneren Sonnenaufgang gesehen! (Bilder weiter unten. Die Nächte sind nur dementsprechend kurz.)

Die Energie kommt vom Dach

Digitale Nomaden freut euch. Der Karl hat Strom und auch Internet. Ersteres kommt direkt aus der Sonne, beziehungsweise vom Dach, die angebrachten Photovoltaiksystem in Verbindung mit einer Home – Automation Anlage kümmert sich um die nötige Energie.

Karl lässt nichts anbrennen

Damit auch im Winter das Duschwasser warm und der Innenraum schön kuschelig sind, gibt es eine Solar-Holz-Zentralheizung. Klingt fancy? Ist es auch!

Die Toilette ist ein Kompost

Die Toilette war wohl das gewöhnungsbedürftigste aber auch mitunter das spannendste im Wohnwagon, irgendwie erinnerst es nämlich ganz stark an ein überdimensionales Katzenklo mit Mehrwert. Die Bio-Toilette funktioniert unabhängig vom Wasserkreislauf. Flüssige Ausscheidungen werden in Bio-Dünger zum Gießen umgewandelt. Weniger flüssige Ausscheidungen Dank einer Mischung aus Pflanzenkohle, Steinmehl und Biofasern geruchsfrei zu Schwarzerde kompostiert. Die Blumen freuen sich …

Autarkie ist eine saubere Sache

Wo ein Klo ist, kann das Bad nicht weit sein, und das überzeugt mit handgefertigtem Mosaik und gut durchdachtem Design. Der Spiegel zum Beispiel verwandelt sich kurzerhand in eine Fenster-verdeckung. Nicht als ob da jemand hineinspähen würde, aber man weis ja nie.

Das Wasser dreht sich im Kreis

Der Wasserkreislauf von Karl ist eine von drei Möglichkeiten, und die sagen wir mal „am wenigsten Autarke“ aber nicht minder spannende. Frischwasser wird extern zugeleitet. Das benutzte Wasser aus der Dusche oder der Abwasch wird dann am Dach von speziellen Sumpfpflanzen gereinigt und kann wieder verwendet werden. Zum Gießen zum Beispiel. Mensch und Pflanzen rund um Karl geht’s gut!

Ganz schön durchdacht also, der liebe Karl. Würde er direkt an einem Bauernhof mit Landwirtschaft stehen, wäre das mit dem „autark“ auch noch genauer zu nehmen. So bezieht es sich vor allem auf die Energie und Wasserversorgung. Einkaufen muss man trotzdem gehen 😉

Das minimalistische Reisen mit Rucksack und wenig Schnickschnack hält dir den Spiegel vor.

Mit Karl kann man für ein paar wenige Tage ganz in die Ruhe und Natur eintauchen, sich auf eine neue Weise zurückziehen und gleichzeitig für seine Umgebung öffnen.

Wenig Platz heißt auch wenig Raum um auszuweichen. Vor dir selbst aber auch deinem Mitreisenden. Der Raum bringt dich unweigerlich zum Nachdenken: „Wenn das alles ist, was ich für ein schönes Leben brauche – warum habe ich dann so viel?“ und er bringt dich zum Reden, denn wenn man 24 h nah beieinander ist, ohne Fernseher und Co, gibt es nich viel anderes zu tun.

Karl ist auch eine Freundschafts- oder auch Beziehungsprobe, die Saskia und ich mit Bravour bestanden haben. Obwohl wir uns erst seit einem guten halben Jahr kennen und nie länger als einen halben Tag miteinander verbracht haben, hat uns Karl viele Gemeinsamkeiten aber auch Themen aufgezeigt.

Zuerst kam die Entspannung.
Dann die Dankbarkeit.

Die Entspannung kam unerwartet schnell. Nur wenige Stunden nach der Ankunft haben wir jegliche Pläne für Arbeit & Co. über den Haufen geworfen und beschlossen diese zwei Tage einfach zu erleben wie sie sind. Im nichts. Wir waren dankbar, uns in einer Situation zu befinden, in der wir solche Momente erleben dürfen, eine Arbeit zu haben, die den Freiraum gibt anderorts zu sein und auch mal abzuschalten wenn es wirklich nötig ist. Dankbar dafür, dass aus diesem ganzen internet-wahr so wertvolle Freundschaften entstehen und dankbar, dass es Menschen wie das Wohnwagon Team gibt, die zeigen, dass „Leben“ auch anders geht.

Wie nehme ich das kleine Denken mit nach Hause?

Wer groß wohnt, wohnt noch lange nicht intelligent und wer klein wohnt, muss nicht zwingend auf etwas verzichten. So gern ich einen Karl oder ein anderes Mitglied aus der Wohnwagon Familie in Wien stehen hätte, ist das doch nicht so einfach. Rein rechtlich eine schwierige Frage, budgetär sowieso und irgendwie hätte ich wohl auch ein bisschen Angst so mitten in der Stadt dazustehen. Wirklich sicher scheint mir das nicht.

Es gibt aber viele Argumente dafür sich in Platz oder  zumindest Habgut etwas zu beschränken. Man lernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und auszusortieren. Je nach dem wie man seinen Lebensraum organisiert, kann die Wohnung stückweise zu einem reinen Rückzugsort werden, während das Leben draußen stattfindet. Mit der Auslagerung der Aktivitäten wird der Bezug zur  Außenwelt wird stärker und der Lebensraum größer. Mag eine ungewohnte Vorstellung sein und doch bewegen wir uns auf genau dies Zukunft zu. Food-Coops, Gemeinschaftsgärten, Duschen im Fitnessstudio, öffentliches Netflix’n’Chill und auswärts Essen … klingt bekannt? Genieße es.

Viele Infos rund um autarkes Leben und moderne Selbstversorgung gibt es in den Magazinen OSKAR und QUICUMQUE. Mehr zum Minimalismus in diesem (Kaufen trifft brauchen) und diesem (Einfach Leben) meiner Beiträge.


Tipps für in und rund um Karl:

praktisches:

zu Erleben:

wirklich viel zu tun gibt es nicht, entspannendes Gefühl! aber …

Probewohnen?

Wer sich für das Konzept Wohnwagon interessiert, kann eine Nacht, oder auch mehrere in Karl oder Fanni verbringen. Zum Probewohnen beziehungsweise Hotelzimmer in der Natur geht es hier.

*** Der Beitrag ist aus eigenem Interesse entstanden. Ich habe Theresa Steiniger, Mitgründern von Wohnwagon vor fast zwei Jahren auf einem Event kennengelernt und, Facebook sei Dank, die Entwicklung des Start-Ups mitverfolgt. Auf Anfrage war wohnwagon so nett, Saskia und mich zum Probewohnen einzuladen.***
Portraits von mir: Saskia Stolzlechner Photography
Die restlichen Fotos: auf meinem Mist gewachsen.
Blaues Kleid:  suite13
Brauner Rucksack: NoahItalianVeganShoes
Quellen:
https://www.wohnwagon.at
http://www.zeit.de/2011/43/Wohnraum/seite-2
http://tiny-houses.de/wieviel-wohnraum-braucht-der-mensch/
http://oe1.orf.at/artikel/204015
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